Michel de Montaigne

(28.2.1533 Schloss Montaigne – 13.9.1592 Schloss Montaigne in der Nähe von Bordeaux)

Biografie

Michel Eyquem de Montaigne ist der erstgeborene Sohn des wohlhabenden Kaufmanns, Parlamentsrichter und Bürgermeister von Bordeaux, Pierre Eyquem (1495-1568) und seiner Mutter Antoinette, die Pierre 1529 heiratet. Das Ehepaar hat insgesamt 8 Kinder, 2 Mädchen und 6 Buben. Die Kinder werden unkonventionell erzogen. Zunächst verbringt der Säugling Montaigne ein paar Monate zur Abhärtung bei einfachen Landleuten. Von seinem zweiten bis zum seinem sechsten Lebensjahr wird er von dem deutschen Lehrer Horst, der kein Wort Französisch versteht, in lateinischer Sprache erzogen. Sowohl der Lehrer als auch die Hausangestellten sprechen nur Latein mit Michel. Mit 6 Jahren besucht Montaigne das Collège de Guyenne in Bordeaux. Dort erfährt er eine humanistische Bildung und lernt die klassischen Texte der Antike kennen. Plutarch, Seneca und Tacitus werden später seine Lieblingsschriftsteller werden. Mit 13 Jahren ist seine humanistische Schulbildung beendet. Er beginnt in Toulouse Rechtswissenschaft zu studieren und beendet sein Studium mit 19 Jahren. Mit 21 Jahren übernimmt er ein juristisches Amt in Pèrigueux. Mit 24 arbeitet er als Parlamentsrat in Bordeaux. Mit seinem Amtskollegen, dem Schriftsteller Ètienne de la Boetie (1530-1563) schließt er eine lebenslange Freundschaft, die einzige Freundschaft, die er mit einem Mann haben wird. Montaigne liest Ètiennes kleines Werk „Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen“, ein Antimachiavellistisches Buch und schätzt es sehr. Als Ètienne an der Ruhr stirbt, verfällt Montaigne in tiefe Melancholie. Er unternimmt mehrere Reisen nach Paris und Rouen um am königlichen Hof zu wirken.

Am 25. September 1565, mit 32 Jahren, heiratet Montaigne die Tochter eines Ratskollegen Namens Francoise de la Chassagne, mit der er fünft Töchter haben wird, wobei nur die Tochter Leonore das Kindesalter überlebt. 1568 stirbt der Vater Pierre Eyquem und Montaigne erbt als ältester von acht Geschwistern das Eigentum des Schlosses. Ein Jahr später veröffentlicht Montaigne in Paris auf eigene Kosten seine französische Übersetzung des ursprünglich lateinischen Buches „Theologia naturalis“ des katalanischen Theologen Raimundus Sebundus (gest. 1436). Ihm widmet Montaigne in seinem Hauptwerk „Essais“ ein langes Kapitel mit dem Titel „Apologie des Raimund Sebundus“. 1571, an seinem 38. Geburtstag zieht sich Montaigne von den öffentlichen Geschäften zurück. Am 9. September 1571 wird seine Tochter Leonore geboren und im selben Jahr wird er zum Ritter des Ordens vom Heiligen Michael, den Ludwig XI 1469 gründete, ernannt. In die Deckenbalken seiner Bibliothek lässt er über 50 Klassikerzitate einbrennen wie z.B.:

„Höchstes Geschick des Menschen ist es, die Dinge zu nehmen wie sie sind und das Übrige nicht zu fürchten“.

Diesen Turm kann man noch heute besichtigen.

Am 24. August 1572 kommt es in Paris zum Höhepunkt des religiösen Bürgerkriegs, der Bartholomäus-Nacht. Über 4000 Hugenotten werden in dieser Nacht auf Befehl der Königsmutter Katharina de Medici ermordet. In Frankreich herrschte seit Mitte des Jahrhunderts ein religiös motivierter Bürgerkrieg zwischen protestantischen Hugenotten und königstreuen Katholiken. Die Region um Bordeaux lag zwischen den Fronten, war unmittelbares Bürgerkriegsgebiet. Montaigne ist entrüstet über so viel Grausamkeit und wird in der Folge von Heinrich III zum Kammerherrn ernannt. Bis 1580 ist das zweite Buch der Essais fertig gestellt. Am 1. März 1580 erscheinen die ersten beiden Bände der Essais bei Simon Milanges in Bordeuaux. Bald darauf erkrankt Montaigne an Nierensteinen. Schon der Vater hatte diese Krankheit, die ihm schließlich das Leben kostete.

1580 bricht Montaigne auch zu einer Europareise auf, weil er sich u. a. in verschiedene Thermal- und Kurbäder aufhalten will. Er reist nach Basel, in einigen Städten Deutschlands und über Innsbruck und den Brenner gelangt er nach Italien. In Ferrara besucht er den geisteskranken Torquato Tasso, welcher „La Gerusalemme Liberata“ geschrieben hatte. Ende November erreicht er Rom und wird von Papst Gregor XIII empfangen. Die Reise dauert insgesamt 17 Monate. Als er sich noch in Italien befindet erreicht ihn die Nachricht, dass er zum Bürgermeister von Bordeaux ernannt worden ist. Über die Reise hat Montaigne ein Tagebuch geschrieben. Erst 1774 ist es mit dem Titel „Tagebuch einer Reise durch Italien, die Schweiz und Deutschland in den Jahren 1580 und 1581“ erschienen. Am Ende seiner zweiten Amtsperiode als Bürgermeister flüchtet er mit seiner Familie ins Gebirge, denn in Bordeaux wütet die Pest.

Als Bürgermeister unternimmt er nicht nur Reisen nach Paris und anderen Orten, sondern kommt auch in Kontakt mit politischen Persönlichkeiten wie Heinrich von Navarra. 1586 schreibt Montaigne das dritte Band der Essais. 1588 reist er nach Paris zur Veröffentlichung der vierten Ausgabe seiner Essais, ergänzt um das dritte Buch. In Paris besucht er die 23 jährige Marie le Jars, Fräulein von Gournay, die ihm einst einen Bewunderungsbrief geschickt hatte und mit der Montaigne eine Art platonische Freundschaft eingeht. 1590 heiratet seine Tochter Leonore und 1591 wird seine Enkelin Francoise geboren. Am 13. September 1592 stirbt Montaigne mit 59 Jahren auf seinem Schloss an einer schweren Angina.

Philosophie

Montaigne ist sehr von den römischen Dichtern und Philosophen beeinflusst. Sein erster großer Lehrer ist Seneca; er bewundert die Moral der Stoa. Als er einen Sturz vom Pferde erlebt, der ihm fast das Leben kostet wendet er sich von der Stoa ab und dem eigenen Ich zu. Plutarch wird nun zu den meist zitierten Autoren.

Montaigne ist ein weltlicher Geist, kritisch, skeptisch, ohne Vorurteile. Gegenstand seiner philosophischen Betrachtungen ist der Mensch. Ausgehend von der Beobachtung des eigenen Ichs versucht er, die Vielfalt der menschlichen Verhaltensweisen zu analysieren. Wie alle Skeptiker so ist auch Montaigne gegenüber allen Neuerungen der Gesellschaft ablehnend eingestellt. Sein Motto lautet: Que sais-je? Was weiß ich? Als Politiker ist Montaigne eher konservativ. Auch was die Religion betrifft kritisiert er die Neuerungen durch Martin Luther und bekennt sich zum Katholizismus. Er haltet sich an die christlichen Lebensformen und bleibt Katholik nicht aus theologischer Überzeugung, sondern weil seiner Meinung nach das Festhalten an der traditionellen Religion den gesellschaftlichen Frieden am ehesten garantiert. Als Philosoph ist er außerdem ein Verfechter der Toleranz. Der Tod beschäftigt ihn sehr, denn 4 seiner Töchter sterben im Kindesalter und auch sein bester Freund stirbt, so dass er in seinen Essais ein Kapitel mit der Überschrift „Philosophieren heißt sterben lernen“ einem Zitat von Sokrates, schreibt. Die höchste Vollendung und Ziel aller philosophischen Bemühungen sieht Montaigne in der Verachtung des Todes, im Ertragen von Schmerzen, in der seelischen Vorbereitung auf das Ende. Das eigentliche Lebensglück sieht Montaigne in der geistigen Ruhe und Zufriedenheit, in der seelischen Geradheit und Sicherheit. In der Annahme der eigenen, natürlichen Grenzen und im maßvollen, sinnlichen Lebensgenuss. Der Weg zum Glück führt bei Montaigne über die Sinne, nicht über die Rationalität. Montaigne gründet mit seinen „Essais“ das übersetzt „Versuche“ heißt, einen neuen Genre in der Literatur. Es handelt sich um eine Form, die zwischen Argumentation und Erzählung, zwischen Philosophie und Literatur hin und her pendelt. Seine „Essais bilden eine unendliche Fundgrube philosophischer Denkanstöße. Einige seiner philosophischen Thesen sind z.B.: die menschliche Unfähigkeit, die Dinge so zu erkennen, wie sie sind, die Neigung und Fähigkeit des Menschen, die Welt mit Hilfe von Fiktionen zu deuten, und schließlich die Unstetigkeit eines Wesens, das nicht mehr in der Sicherheit seiner Instinkte ruht. Seine Lebenshaltung ist jede Art von Extremen zu meiden. Thema des Buches ist er selbst, alles, was er schreibt, ist Ausdruck seines Ichs. In der Einleitung schreibt er, dass er das Buch nicht für die Öffentlichkeit geschrieben hat, sondern ausschließlich, um über sich selbst Rechenschaft abzulegen. Montaigne interessiert sich für Gott und die Welt, er beschreibt Bräuche, kommentiert Bücher und berichtet von charakteristischen Erlebnissen. Montaigne ist neugierig auf alles, was in der Welt vorgeht. Für ihn ist die charakteristische Einzelheit wichtiger als eine mögliche theoretische Bedeutung. Montaigne ist ein unermüdlicher Jäger und Sammler von Erfahrungsmaterial. Durch die Art der empirischen Selbstbeobachtung und Selbsterforschung wird Montaigne zu einem der Väter der modernen Anthropologie, der Lehre vom Menschen. Der Mensch wird sich selbst zum Problem. Montaigne fragt nicht nach dem Menschen und seiner Stellung im Kosmos sondern nach dem bestimmten Individuum, das sich als Ich anspricht. Der Mensch bleibt für ihn Teil der Natur. Er redet oft und ausführlich über seine Krankheiten, über Geschlechtsverkehr, über Schlaf, über Essen und Trinken. Er findet den Zugang zum Menschen über den Körper, nicht über den Geist. In seinen Augen ist der Mensch schwach, wankelmütig und leichtgläubig. Er ist kein Vernunftwesen, sondern ein Wesen voller Widersprüche. Er ist einer der ersten Philosophen, die den Eurozentrismus, das heißt die These von der Überlegenheit der europäischen Kultur, in Frage stellt. In seinen Augen ist es lediglich mangelnde Vertrautheit, die uns dazu verleitet, andere Kulturen als „barbarisch“ zu bezeichnen. Die Völker, die wir „barbarisch“ nennen, sind der westlichen Kultur in einem entscheidenden Punkt voraus: Sie sind näher an der Natur, ihre Wünsche richten sich nach den natürlichen Bedürfnissen. Dadurch entgehen sie nicht nur den Lastern, die vom Luxus und Überfluss herrühren, sondern auch dem, was Montaigne als den Grundfehler der eigenen Kultur ansieht: ihre Maßlosigkeit, ihr Streben nach immer mehr, ihr Hang zur Perfektion, der zu einer zerstörerischen Energie wird. Statt der Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen empfiehlt Montaigne Toleranz und Lernbereitschaft. Montaigne ist ein ganz am Diesseits orientierter Denker. Der Mensch muss seine Selbstüberschätzung ablegen und wieder in eine enge Verbindung zu seiner kreatürlichen Umwelt treten. Er propagiert ein entspanntes Leben, das auf große Projekte verzichtet und Freude an den kleinen Dingen, dem Erreichbaren findet. So macht er sich zum Anwalt der Gewohnheit und der Behaglichkeit.

Montaigne war ein viel gelesener Autor. Er wurde sogar gelesen als seine „Essais“, knapp hundert Jahre nach seinem Tod unter Kardinal Richelieu in Frankreich auf den Index verbotener Bücher gesetzt wurden. Nietzsche schrieb über ihn: „Dass ein solcher Mensch geschrieben hat, dadurch ist wahrlich die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden“. Er gilt als Begründer der neuzeitlichen europäischen Moralistik und dadurch als Vorbild für Persönlichkeiten wie La Rochefoucauld, La Bruyère und Chamfort. Er übt auch Einfluss auf das Denken Pascals, Jean-Jacques Rousseaus und auf die Existenzphilosophie aus.

Zitate und Textauszüge

Die Essais (1580)

Affekte und Wirklichkeit:

Wir sind nie recht zu Haus; wir schweben immer irgendwie über der Wirklichkeit. Befürchtungen, Hoffnungen, Wünsche tragen uns immer in die Zukunft; sie bringen uns um die Möglichkeit, das, was jetzt ist, zu fühlen und zu beachten; statt dessen gaukeln sie uns Dinge vor, die einmal kommen sollen, vielleicht erst dann, wenn wir gar nicht mehr existieren. „Unglücklich ist, wer sich um die Zukunft sorgt! (Seneca)“

Unterwerfung und Gehorsam sind wir allen Königen schuldig; dies gilt ihrem Amt; aber zu Achtung und erst recht zu Liebe, sind wir ihnen gegenüber nur wegen ihres inneren Wertes verpflichtet.

Das Nichtstun:

Das menschliche Denken wird sinnlos, wenn es kein bestimmtes Ziel hat.

…da „das Nichtstun immer eine Zersplitterung des Denkens erzeugt (Lukan)“

Die Lügner:

Die Pythagoreer nennen das Gute bestimmt und begrenzt, das Böse unbegrenzt und

Unbestimmt. Vom Ziel weg führen tausend Wege, zum Ziel hin nur einer.

Vom raschen und zögernden Sprechen:

Wahrscheinlich ist es eben mehr Sache der Geistesgegenwart, schnell richtig zu reagieren, und Sache der Geistestiefe, langsam und vorsichtig vorzugehen.

Auch das, was ich eigentlich sagen will, fällt mir gelegentlich gerade dann nicht ein, wenn ich danach suche; ich finde es eher durch zufälliges Darauf stoßen als durch angestrengtes Grübeln. Da habe ich vielleicht einmal einen recht scharfsinnigen Gedanken eilig hingeschrieben…dann habe ich den Faden so vollständig verloren, dass ich nicht mehr weiß, was ich sagen wollte.

Das menschliche Glück:

Die Menschen könnten, so sehr das Glück ihnen auch lächle, nicht glücklich genannt werden, ehe ihr letzter Tag vorüber sei, weil eben alles Menschliche so unsicher und wechseln ist; eine leichte Wendung genügt, und das Schicksal ändert sich völlig.

Es macht den Eindruck, als wenn es in einer höheren Welt Mächte, gäbe, die von Neid gegen irdische Größe erfüllt sind.

Philosophieren heißt sterben lernen:

Das Ziel unseres Lebenslaufes ist der Tod; zwangsweise richten wir unseren Blick auf ihn: wenn er uns erschreckt, wie können wir da einen Schritt ohne Schaudern gehen? Was tut der gemeine Mann dagegen? Er denkt nicht daran; aber welch tierischer Stumpfsinn gehört dazu, einer so groben Verblendung zu erliegen!

So dachten die Ägypter: beim Fest, wenn es am höchsten herging, ließen sie ein Menschengerippe in den Saal tragen, als Mahnung für die Gäste.

…und das Ende ist mit dem Anfang unlösbar verbunden (Manilius)

Wenn ihr das Leben genutzt habt, könnt ihr gesättigt und befriedigt scheiden. Und wenn ihr nichts damit habt anfangen können, wenn ihr es nutzlos vertan habt, da kann es euch doch erst recht gleichgültig sein, wenn es weg ist; was wollt ihr denn noch damit?

An sich ist das Leben nichts Gutes und nichts Böses; es ist der Hintergrund, auf dem ihr selbst Gutes und Böses anbringen könnt.

Man kann den Wert eines Lebens nicht nach der Länge messen; er ist vom Inhalt abhängig. Manches lange Leben ist inhaltslos.

In der Tat, du brauchst dir nur zu überlegen, wie viel härter und unerträglicher ein Leben, das nie ein Ende nähme, für die Menschen sein müsste, als das Leben ist, das ich ihnen gegeben habe. Hättet ihr den Tod nicht, so würdet ihr mich dauernd verfluchen, dass ich ihn euch vorenthalten hätte.

Über die Gewohnheit:

Ich finde, dass alle bösen Charakterzüge auf Gewohnheiten zurückgehen.

…man muss ja daran denken, dass das Spielen für die Kinder kein Spielen ist und dass man es als ihr ernstestes Tun ansehen und danach beurteilen muss.

Zusammenfassend kann ich sagen: ich denke mir, die Gewohnheit tut alles, sie vermag alles; Pindar nennt sie mit Recht, wie ich mir habe sagen lassen, „Königin und Herrscherin der Welt.

So kommt es, dass alles Ungewöhnliche, zunächst als unvernünftig angesehen wird – Gott weiß, wie wenig vernünftig dieser Schluss in der Regel ist.

Die Gesellschaft hat kein Recht auf unsere Gedanken.

Ach, die Wunden, die mich schmerzen, habe ich mir selbst beigebracht (Ovid)

Über die Schulmeisterei:

Später, als ich älter wurde, habe ich gesehen …. Dass „die Gelehrten nicht immer die Gescheiteren sind (Rabelais)“. Aber noch heute bin ich mir unklar darüber, wie es möglich ist, dass eine Seele, die so vielerlei Dinge in sich aufgenommen hat, dadurch nicht lebensvoller und aufgeweckter wird; und dass ein roher und gewöhnlicher Geist sich nicht verfeinert, wenn er es dauernd zu tun hat mit den Überlegungen und Urteilen der ausgezeichnetsten Geister, die auf der Welt gelebt haben. Wenn ein Mensch so viele, so starke und so große fremde Gehirne bei sich aufnehmen will, ist es nötig (so formulierte es einmal eine junge Prinzessin), dass sein eigenes Gehirn sich in die Ecke schieben, sich zusammendrücken und sich klein machen lässt, damit die anderen daneben Platz haben.

Genauso wie Vögel manchmal Körner suchen, sie aber nicht fressen, sondern sie im Schnabel forttragen, um damit ihre Jungen zu atzen: so stibitzen unsere Pedanten sich Wissen aus Büchern zusammen, nehmen es aber nur in den Mund, um es unverändert wieder von sich zu geben und es nutzlos zu vertun. Es ist wunderbar, wie genau ich als Beispiel für diese Torheit passe.

Meist leisten wir weiter nichts, als dass wir die Meinungen und das Wissen anderer in Verwahrung nehmen: das Wesentliche aber wäre, dass wir uns diese Dinge aneignen.

Wir verlassen uns so vollständig auf die Hilfe von außen, dass unsere eigenen Geisteskräfte verkümmern.

Wir haben nicht die Aufgabe, Weisheit in uns anzuhäufen, sondern etwas mit ihr anzufangen (Cicero).

Über die Erziehung der Kinder:

Gewöhnlich nehme ich mir weiter nichts vor, als alles aufzuschreiben, was mir gerade einfällt, ganz gleich, was es ist, dabei aber nur die Gedanken zu benutzen, die wirklich auf meinem Acker gewachsen sind. Nun passiert es mir oft, dass ich in guten Schriftstellern dieselben Gesichtspunkte behandelt finde, über die zu sprechen ich mir selber vorgenommen hatte – wie ich vor kurzem bei Plutarch auf seine Abhandlung über die Kraft der Phantasie gestoßen bin -, und dann sehe ich, wie schwach und ärmlich, ungeschickt und langweilig ich bin im Vergleich mit diesen Männern, so dass ich auf mich heruntersehe und mir selber leid tue; und dann befriedigt es mich aber auch wieder, dass meine Gedanken sich mit den ihrigen begegnen und dass ich wenigstens, weit hinter ihnen, die gleichen Wahrheiten aufleuchten sehe; und außerdem befriedigt es mich, dass ich, was nicht jeder von sich sagen kann, erkenne, welch gewaltiger Unterschied zwischen ihnen und mir besteht; trotzdem lasse ich dem, was ich mir da ausdenke, freien Lauf, und ich lasse es so, wie es aus mir herausgequollen ist, und ich verlasse es so, wie es aus mir herausgequollen ist, und ich verkleistere und flicke die Unvollkommenheiten nicht, die mir bei diesem Vergleich deutlich geworden sind.

Es ist ein Zeichen von ungenügender oder krankhafter Verdauung, wenn man die Speisen unverändert wieder von sich gibt, so wie man sie geschluckt hat; der Magen hat nicht funktioniert, wenn er das, was er zu verarbeiten hatte, nicht ganz und gar verändert und umgestaltet hat.

Nur die Dummen haben sofort eine Überzeugung fertig. „Auch Zweifeln hat sein Gutes nicht weniger als Wissen (Dante).

…nach dem Satz Platos: „Festigkeit, Glaube und Ehrlichkeit sind der wahre Inhalt der Lebensweisheit; die übrigen Wissenschaften, die andere Ziele haben, sind nur Schminke.“

Ich möchte wissen, ob die schönen Tänzer, die ich kenne, le Paluel und Pompée, uns ihre Luftsprünge beibringen können, wenn wir nur zusähen, wie sie tanzen und dabei sitzen blieben; genauso wäre das, wenn unsere Schulmeister uns das Denken beibringen wollen, ohne es aktiv zu betätigen: oder wenn wir reiten, fechten, Laute spielen oder singen lernen wollten, ohne es selbst zu üben; so will man uns lehren, richtig zu urteilen und richtig zu sprechen, ohne uns Gelegenheit zu geben, unsere Sprechfähigkeit und unsere Urteilsfähigkeit zu üben. Bei der Anleitung hierzu aber braucht man keine Bücher; jedes Erlebnis der Umwelt bietet ausreichenden Stoff dafür.

Es hilft nun einmal nichts: wer aus dem Jungen einen richtigen Mann machen will, der darf ihn bestimmt in den jungen Jahren nicht schonen; und es ist unvermeidlich, dass man dabei oft gegen die Vorschriften der Medizin verstößt.

…bescheidenes Auftreten und die Kunst, den Mund zu halten, sind Eigenschaften, durch welche die Unterhaltung außerordentlich gefördert wird.

Hartnäckigkeit und Besserwissen sind etwas Gewöhnliches, sie passen am besten zu den niedrigsten Charakteren; dagegen ist es schwer, seine Meinung zu revidieren und sich der besseren Erkenntnis anzuschließen, auf eine als unrichtig erkannte Stellungnahme zu verzichten, wenn man sie eben noch lebhaft verteidigt hat: das sind seltene Eigenschaften; sie verlangen Kraft und philosophische Haltung.

…das Gute als anspornendes, das Böse als abschreckendes Beispiel….Die ganze weite Welt ist der Spiegel, in dem wir uns betrachten müssen, um den richtigen Blick für die Selbstbeobachtung zu bekommen. Das soll überhaupt das eigentliche Lehrbuch meines Schülers sein. Es gibt so viele Arten Neigungen, Sekten, Meinungen, Gesetze und Sitten; ihre Verschiedenheit lehrt uns, den Wert dessen, was bei uns gilt, richtig einzuschätzen; sie lehrt uns, uns bewusst zu werden, wie beschränkt und schwach unser Urteilsvermögen seiner Natur nach ist.

Neben der Belehrung durch die praktische Erfahrung wird man unseren Zögling mit den nützlichsten philosophischen Theorien vertraut machen; alles menschliche Handeln muss zum philosophischen Denken in Beziehung gesetzt werden, nach dem es sich ausrichtet. Da wird man ihm sagen, was Wissen und Nichtwissen ist – in der Erfassung dieses Unterschiedes liegt das eigentliche Ziel des Studiums -, was die Begriffe Mut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit bedeuten; worin der Unterschied zwischen Ehrgeiz und Habsucht, zwischen Knechtschaft und Einordnung, zwischen Zügellosigkeit und Freiheit besteht; woran man die wahre Befriedigung, die Bestand hat, erkennt; wieweit Tod, Schmerz und Schande zu fürchten sind; „wie man Kummer vermeidet und wie man ihn trägt (Vergil)“; welches die Triebfedern unseres Handelns sind und wie viel verschiedene innere Anstöße auf uns einwirken können; denn die ersten Unterrichtsgegenstände, mit denen er vertraut gemacht werden muss, sind doch wohl die, die sich auf sein Benehmen und sein Denken anwenden lassen; die ihm helfen, sich selbst zu erkennen, recht zu leben und recht zu sterben. Womit wir erziehen, das nennen wir „freie Künste“; so wollen wir zunächst mit den Dingen beginnen, die uns frei machen, natürlich tragen alle „freien Künste“ irgendwie dazu bei, uns in das Leben und seine Nutzung einzuführen, wie auch alles andere irgendwie dafür nutzbar gemacht werden kann, aber ich schlage vor, die Stoffe zu bevorzugen, die direkt und absichtlich zu diesem Ziel hinführen.

Aber heute ist man bei uns noch durchaus nicht so weit; die Philosophie ist, und zwar auch bei gescheiten Leuten, nur ein leeres Wort, das keine Beziehung zur Wirklichkeit hat; so kommt es, dass sie keine praktische Bedeutung besitzt und kein Ansehen genießt; sie gilt nichts, und sie nützt nichts. Ich glaube, die krause Ausdrucksweise ist daran schuld, durch die der Zugang zu ihr erschwert wird. Man tut unrecht daran, sie den Kindern als unzugänglich hinzustellen, zu sagen, dass sie etwas Sauertöpfisches, Dünkelhaftes, Schreckliches sei: wer mag ihr nur diese fälschende Maske vorgehängt haben, die sie bleich und scheußlich erscheinen lässt? Es gibt doch nicht Fröhlicheres, Gesünderes, Kurzweiligeres, beinahe möchte ich sagen: Spaßigeres, als sie; ihre Lehren stimmen festlich und glücklich; ein trauriges, ein starres Aussehen deutet an: bei dem ist sie nicht zu Haus. Die Seele fühlt sich wohl, wenn die Philosophie in ihr wohnt; diese seelische Gesundheit wird auch auf die körperliche Gesundheit übergreifen; ihre Ruhe und ihr Glück wird auch nach außen strahlen, die ganze äußere Erscheinung wird sich nach dem Seelenbilde formen; schon die ganze Haltung wird von liebenswürdigem Stolz, von einem tätigen und lebendigen Geist und von zufriedener und behaglicher Stimmung Zeugnis ablegen. Das deutlichste Anzeichen der Weisheit ist eine immer gleich bleibende Heiterkeit.

Wahr und falsch:

Die Seele gibt dem Druck der ersten Überzeugung umso leichter nach, je weniger sie über einen eigenen Inhalt und ein inneres Gegengewicht verfügt.

Bedenken wir, wie nebelhaft und unsicher bei den meisten Dingen der täglichen Erfahrung das wirkliche Verstehen ist, bis zu dem wir vordringen können: dann müssen wir zugeben, dass wir sie nur deshalb nicht erstaunlich finden, weil wir daran gewöhnt sind, nicht weil wir sie verstehen.

Wenn wir alles, was wir nicht begreifen, für bedeutungslos erklären, so liegt darin eine gefährliche und folgenschwere Dreistigkeit, abgesehen von der törichten Anmaßung, die damit verbunden ist.

Wie viele Dinge gestern noch die Evidenz von Glaubenssätzen hatten, die uns heute als Hirngespinste gelten!

Über die Freundschaft:

Was die Kinder an die Eltern bindet, ist eher der Respekt.

Warum muss denn unter Verwandten die geistige Gleichgestimmtheit herrschen, aus der die wahre, die vollkommene Freundschaft hervorwächst? Vater und Sohn können sich charakterlich ganz fern stehen; und ebenso zwei Brüder: mein Sohn oder mein Bruder ist es auch dann, wenn er ein Starrkopf, ein Bösewicht oder ein Trottel ist. Und dann sind das eben Bindungen, die uns durch das Gesetz oder durch die Natur aufgezwungen sind, und dadurch fehlt bei ihnen etwas von der Freiwilligkeit unserer Wahl und unserer Entscheidung.

In der Freundschaft dagegen herrscht eine allgemeine Wärme, die den ganzen Menschen erfüllt und die außerdem immer gleich wohlig bleibt; eine dauernde stille, ganz süße und ganz feine Wärme, die nicht sengt und nicht verletzt.

Freundschaft….bleibt etwas Geistiges und die Seele veredelt sich in ihr.

Über die Mäßigung:

Seid nicht zu klug, sondern seid mit Maßen klug (Paulus)

Ist der Mensch, wenn man es sich genau überlegt, nicht ein bedauernswertes Tier?

Über die Kannibalen:

Wir haben den Reichtum und die Schönheit ihrer Werke (der Natur) durch unsere Erfindungen so überdeckt, dass wir sie vollständig erstickt haben.

Ein Sieg verdient nur dann seinen Namen, wenn der Feind auch innerlich unterjocht ist und seine Niederlage zugeben muss (Claudian)

Die Achtung, die ein Mensch verdient, und sein Wert hängen ab von seinem Mut und seinem Willen: hierin liegt seine wahre Ehre. Tapfer sein ist dasselbe wie fest sein, fest nicht mit den Beinen und Armen, sondern fest im Mut und in der Seele. Tapferkeit lässt sich nicht am Wert unseres Rosses und unserer Waffen messen, sondern nur an unserem Eigenwert.

Gottes Eingreifen sollte man vorsichtig beurteilen:

Unser Glaube ruht auf einem anderen Fundament, er bedarf nicht der Rechtfertigung durch äußere Erfolge.

Der jüngere Cato:

Es leuchtet mir ein, dass es tausend verschiedene Arten der Lebensgestaltung gibt; …dass wir Menschen alle verschieden sind, als dass wir alle gleich sind.

Mein besonderer Wunsch wäre, dass jeder Mensch für sich beurteilt würde und dass man übliche Vorbilder nicht auf mich anwenden möge.

Meine Schwächen hindern mich nicht, Kraft und Stärke bei denen, die es verdienen, anzuerkennen.

Weinen und Lachen:

Unser Tun ist zwar meist Maske und Schminke, und es trifft auch oft zu, was der Dichter sagt: „Der weinende Erbe lacht unter der Maske (Gellius).“; aber man muss doch in allen solchen Fällen bedenken, dass in der Regel mehrere Stimmungen gleichzeitig auf die Seele einwirken. Und wenn sie auch in verschiedener Richtung erregt wird, muss eine Stimmung sich schließlich durchsetzen; aber doch nicht ausschließlich; unsere Seele ist so beweglich und geschmeidig, dass auch die zurückgedrängten Regungen sich daneben gelegentlich bemerkbar machen und vorübergehend sogar die Oberhand gewinnen können. Kinder weinen und lachen deshalb oft zugleich, geben sie doch den Naturregungen naiv nach: aber auch den Erwachsenen geht es ähnlich.

Meiner Frau zeige ich manchmal ein gleichgültiges, manchmal ein liebevolles Gesicht; es wäre Torheit, hieraus zu schließen, eines von beiden wäre Vorstellung.

Über die Einsamkeit:

Treibt uns der Ehrgeiz zur Einsamkeit? Die Antwort muss lauten: Ja!

Das Böse ist auf der Seite der Mehrheit (Bias).

Nichts ist so zwiespältig wie der Mensch; er ist asozial und sozial zugleich; asozial wird er durch seine Laster, sozial durch seine Natur.

Das Ziel, das mit der Absonderung verfolgt wird, ist doch offenbar, mit mehr Muße und mehr Behagen zu leben. Aber der Weg dahin ist nicht immer der richtige. Oft bildet man sich ein, man hätte sich von der Plackerei freigemacht und hat sich doch nur eine andere aufgeladen. Die Leistung eines Haushaltes bring kaum weniger Ärger als die eines ganzen Staates; von jeder Sache wird man gleich ganz in Anspruch genommen; Geschäfte, die weniger wichtig sind, brauchen deshalb noch nicht weniger lästig zu sein.

…die Hauptquälgeister unseres Lebens ….: Ehrsucht, Geiz, Unentschlossenheit, Angst und Begehrlichkeit.

…jetzt gilt es, das Bündel zu schnüren und rechtzeitig von dem, was uns lieb ist, Abschied zu nehmen und die starken Fesseln allmählich abzuwerfen, die uns mit anderen verknüpfen und uns nicht zu uns selbst kommen lassen.

Angenehmes und Unangenehmes:

Die Menschen leiden, so heißt es in einer griechischen Sentenz, unter den Vorstellungen, die sie von den Dingen haben, nicht unter den Dingen selbst.

Wenn das, was wir schlimm und quälend nennen, an sich weder schlimm noch quälend ist, sondern nur in unserer Vorstellung dazu wird, steht es in unserer Macht, diese Vorstellung zu ändern.

Mut ruft nach Gefahr (Seneca).

…es liegt in der Natur des Schmerzes: „wenn er heftig ist, ist er kurz, wenn er lang ist, ist er nicht hier (Cicero).

Im Ganzen ist es mühevoller, Geld zu hüten als zu verdienen.

Gegen unerwartete Ausgaben ist man auch durch das größte Sparen nicht gesichert.

Über die Unsicherheit unseres Urteils:

Nichts verhindert überhaupt den rechten Genuss so wie der Überfluss.

Demokrit und Heraklit:

Nicht das Schicksal sollten wir durch Opfergaben und Wünsche zu beeinflussen suchen, sondern uns selber: das Schicksal hat keinen Einfluss auf unseren Charakter; im Gegenteil: der Charakter bestimmt das Schicksal und modelt es um nach seinem Bild.

Demokrit und Heraklit waren zwei Philosophen. Der eine fand das Menschsein nichtig und lächerlich; deshalb zeigte er, wenn er ausging, auf seinem Gesicht immer ein spöttisches Lächeln. Heraklit reagierte gerade umgekehrt. Die gleiche Situation von uns Menschen erweckte in seinem Herzen Mitleid und Teilnahme; sein Gesicht war deshalb immer traurig, seine Augen voll Tränen.

Man kann uns, glaube ich, nie so viel Verachtung zeigen, wie wir verdienen. Jammer und Mitleid zeigen immer an, dass ich der Sache, über die ich klage, einen gewissen Wert beilege; spotte ich aber über sie, so gebe ich zu erkennen, dass sie mir wertlos vorkommt. Ich denke so: nicht das Leid ist charakteristisch für unser Wesen, sondern die Nichtigkeit, nicht die Bosheit, sondern die Dummheit; wir sind nicht schlimm, sondern leer, nicht tragisch, sondern jämmerlich.

…denn was man hasst, das nimmt man ernst. Diogenes kümmerte sich den Teufel um seine Mitmenschen und rollte dabei sein Fass und schnitt dem großen Alexander Gesichter: er meinte, wir Menschen seien nicht mehr wert als Fliegen oder Schweinsblasen voll Luft.

Die Wertlosigkeit des Redens:

Ein Rhetor aus dem Altertum definierte seinen Beruf einmal so: Kleine Dinge groß erscheinen zu lassen.

Ariston definiert die Rhetorik treffend als „Wissenschaft, wie man das Volk überredet“. Sokrates nennt sie in Platos „Gorgias“ „die Kunst zu täuschen und zu schmeicheln“.

Es scheint deshalb, dass die Staatsformen mit monarchischer Spitze die Redekunst weniger nötig haben als die anderen.

Die Unbeständigkeit unseres Handelns:

…ist doch eben der Mangel an Einheitlichkeit, wie ich glaube, der verbreitetste und der sichtbarste Fehler in unserer Naturanlange.

Wer die Menschen im einzelnen, und von Fall zu Fall verschieden beurteilt, der dürfte der Wahrheit meist näher kommen.

Laster….Regellosigkeit und Maßlosigkeit.

Empedokles stellte bei den Bewohnern von Agrigent als Uneinheitlichkeit fest, dass sie sich dem Genuss hingaben, so als ob sie am nächsten Tag sterben würden, und dass sie bauten, als ob sie nie sterben müssten.

Wer sein Leben im Ganzen nicht auf ein bestimmtes Ziel eingerichtet hat, kann in die Einzelhandlungen keine Ordnung bringen: die Teile kann man unmöglich richtig unterbringen, wenn man das Bild im Ganzen nicht im Kopfe hat.

…zwischen dem, was wir heute sind, und dem, was wir ein andermal sind, ist der Unterschied ebenso groß, wie der Unterschied zwischen uns und anderen Menschen.

„Du kannst mir glauben, es ist eine schwere Aufgabe, sich immer als der gleiche Mensch zu zeigen (Seneca)“.

Die Trunksucht:

…die Trunkenheit aber ist ganz körperlich und irdisch. Deshalb steht sie nur bei dem Volk, das heute das roheste ist, in Ansehen.

Wenn der Mensch die Zurechnungsfähigkeit und die Selbstbeherrschung verliert, so ist das der schlimmste Zustand, in den er geraten kann.

Eine Sitte auf der Insel Keos:

Einmal wollte Antipater die Lakedämonier durch fürchterliche Drohungen zwingen, einer Forderung von ihm nachzugeben, doch sie antworteten ihm: „Wenn du uns mit etwas drohst, was schlimmer ist als der Tod, wollen wir lieber sterben.“

„der Weise lebt, solange wie er muss, und nicht, solange wie er kann“.

Wie kannst du dich über diese Welt beklagen? Sie hält dich doch nicht fest: wenn du in Not bist, so ist nur deine Feigheit daran schuld; du kannst immer sterben, du brauchst es nur zu wollen: „Der Tod ist überall; Gottes Vorsehung hat dafür gesorgt; das Leben kann uns jeder nehmen, den Tod aber niemand; tausend Wege führen zu ihm (Seneca)“.

Es widerspricht der Natur, dass wir uns selbst verachten und gering schätzen.

Das Üben:

Eigentlich könnte die Fähigkeit zum Schlafen uns unnütz und unnatürlich scheinen, weil uns dadurch jedes handeln und jedes Fühlen unmöglich wird; aber dem ist nicht so: auf diesem Wege lehrt uns die Natur, dass sie uns in gleicher Weise zum Sterben wie zum Leben geschaffen hat; sie zeigt uns schon im Leben den Zustand der Ewigkeit, den sie nach der irdischen Zeit für uns bereithält, um uns daran zu gewöhnen und uns die Furcht davor zu nehmen.

In der Phantasie scheint uns vieles größer als in der Wirklichkeit.

…aus Angst vor einem kleineren Übel geraten wir in ein schlimmeres (Horaz).

…wenn sich einer geringer einschätzt, als er wert ist, so ist das, nach Aristoteles, Feigheit oder Kleinmütigkeit.

Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern:

Meine Erfahrung lehrt mich, dass man mit Prügeln nicht weiter erreicht als die Menschen feig, böse und bockig werden zu lassen.

Über die Bücher:

Von einem Buch verlange ich weiter nichts, als dass es mir nett die Zeit vertreibt und mir dadurch Freude macht: oder wenn ich studiere, so suche ich nur solches Wissen, das meine Selbstkenntnis fördert und mich lehrt, gut zu sterben und gut zu leben.

Über die Grausamkeit:

Was von Gott kommt, kommt alles von selbst und ohne Anstrengung.

Böses tun sei zu leicht und zu feig; recht handeln, wenn keine Gefahr dabei ist, sei etwas Gewöhnliches; aber das Rechte zu tun, obwohl es gefährlich ist, das sei die eigentliche Aufgabe eines Mannes, der die Tugend vertreten wolle (Metellus).

Der Mensch hat, fürchte ich, von der Natur selbst etwas wie einen Instinkt zur Unmenschlichkeit mitbekommen.

Apologie des Raimond Sebond:

Nehmen wir einmal an, nicht das Äußere, sondern das Denken sei unser Hauptvorzug vor den Tieren: Da sieht unser Anteil so aus: wir besitzen Wankelmut, Unentschlossenheit, Unsicherheit, Trauer, Aberglauben, Sorge um die Zukunft, auch über unseren Tod hinaus, Ehrgeiz, Habsucht, Eifersucht, Neid, zügellose, sinnlose und hemmungslose Lüste, Krieg, Lüge, Unredlichkeit, Verleumdung und Neugier. Damit haben wir den schönen Verstand, auf den wir uns so viel zugute tun, und die Fähigkeit zum Urteil und zur Erkenntnis bestimmt überzahlt, wenn wir ihn erkauft haben mit den unendlich zahlreichen schlimmen Verirrungen, denen wir dauernd ausgesetzt sind.

Wir werden umso vollkommener, je mehr wir uns dem Willen Gottes unterstellen und uns ihm hingeben und damit auf unser Selbst Verzicht leisten. „Nimm“, sagt der Ecclesiasticus, „die Dinge in gutem Sinne, so wie sie sich gerade bieten, wie sie gerade heute aussehen und munden; das übrige ist für dich nicht erkennbar“.

Der Menschengeist hat keinen Halt, wenn er sich in der Unbegrenztheit gestaltloser Gedanken bewegt: er muss sie zu bestimmten Bildern verdichten, die seiner Welt entnommen sind. So hat sich die göttliche Majestät in das beschränkte Bild einer körperlichen Erscheinung bannen lassen; seine unirdische Heiligkeit wird durch Zeichen angedeutet, die unserer Irdischkeit entsprechen; seine Anbetung kommt zum Ausdruck in einem Gottesdienst, den man sehen, und in Worten, die man hören kann: denn es sind Menschen, die glauben und beten.

Was ist elender als der Mensch, der sich von den eigenen Hirngespinsten beherrschen lässt?

Zusammenfassend kann man sagen: Alles was über das Wesen der Gottheit an Gedankengebäuden aufgebaut und abgebaut wird, wird vom Menschen erfunden, so wie er von sich aus die Beziehung zur Gottheit ansieht.

Die Seele verändert sich; so lehren schon die Philosophen, im Altertum. Man sehe doch, sagen sie, wie sie entsteht, wenn der Körper soweit ist; wie ihre Kräfte gleichzeitig mit den Körperkräften zunehmen; man können diese Entwicklung deutlich verfolgen.

Wir fühlen es: die Seele wird mit dem Körper geboren, sie wächst mit ihm auf und altert mit ihm (Lukrez).

Der Mensch kann nicht anders, als dauernd nach der Erweiterung seiner Existenz zu drängen; er hat dafür Rat geschafft: für die Erhaltung des Leibes sorgt die Beisetzung, für die Erhaltung des Namens der Ruhm.

Gesetze sind notwendig, sagt Epikur, auch wenn sie schlecht sind; ohne sie würden die Menschen sich gegenseitig auffressen. Auch Plato sagt, dass wir ohne Gesetze wie die Tiere leben würden.

Raserei und Schlaf sind die beiden Tore, durch die man Eintritt zum Rat der Götter erhält, wo man die Zukunft voraussehen kann.

…unsere Weisheit ist weniger weise als der Wahnsinn; unsere Träume sind gescheiter als die logischen Überlegungen.

In nichts zeigt die Welt eine solche Vielgestaltigkeit wie in Sitten und Gesetzen: es gibt Dinge, die hier als verabscheuenswert gelten und anderswo als empfehlenswert, wie in Sparta die Gewandtheit im Stehlen.

…jeden Sinn, jede Ansicht, mag sie gerade oder krumm, süß oder bitter sein, findet der menschliche Geist irgendwo schriftlich niedergelegt, wenn er sucht: was ist nicht alles an Falschheit und Lüge in die klarsten, reinsten und eindeutigsten Worte hineingelegt worden.

Durch Seelenstimmungen werden unsere Sinneswahrnehmungen nicht nur gefärbt, sondern oft geradezu gelähmt; vieles, was wir sehen, fassen wir nicht auf, wenn unser Geist abgelenkt ist!

Dem Verwöhnten schmeckt der Wein fade, dem Gesunden kräftig, dem Verdursteten herrlich: jeder übertreibt in seiner Richtung. Unser innerer Zustand gleicht sich also die Dinge an und ändert sie, wie er sie sieht; daher wissen wir nicht mehr, wie die Dinge in Wahrheit sind; denn was an uns herankommt, ist durch unsere Sinne immer gefälscht und geändert.

Da sowohl der urteilende Mensch als die beurteilte Außenwelt ewig unsicher und veränderlich sind, kann über beide nichts Sicheres ausgesagt werden. Nichts ist greifbar, weil alles vergeht.

Das Gestern stirbt in das Heute, das Heute in das Morgen hinein; nichts beharrt, nichts ist immer gleich.

Was für ein jämmerliches und niedriges Ding ist doch der Mensch, wenn er sich nicht über sein Menschsein erhebt (Seneca).

Das ist ein geistreicher Ausspruch und ein verständlicher, aber zugleich sinnloser Wunsch: denn es ist unmöglich und widernatürlich, mit Hand und Arm mehr greifen zu wollen, als Hand und Arm fassen können, und die Schritte größer zu machen, als unsere Beine es zulassen. Eben so wenig kann der Mensch über sich und sein Menschsein hinaus; denn er kann nun einmal nur mit seinen Augen sehen und mit seinem Fassungsvermögen begreifen. Und doch ist es ihm gegeben, sich über diese Beschränkung zu erheben, aber nur, wenn Gott ihm zu diesem Sprung über die menschliche Ordnung die Hand reicht; die Erhebung ist ihm möglich, wenn er unter vollständigem Verzicht auf den Glauben an seine menschlichen Fähigkeiten, durch rein himmlische Kräfte sich erhöhen und empor tragen lässt. Unserem christlichen Glauben nicht dem stoischen Tugendideal, kommt es zu uns den Weg zu dem Wunder dieser göttlichen Wandlung zu weisen.

Über den Ruhm:

Wer zuerst auf den Gedanken kam, Ruhm und Schatten zu vergleichen, hat etwas Richtigeres gesagt, als er eigentlich beabsichtigte. Beide sind durchaus unwesentlich; beide sind manchmal weiter vorn als der Mensch selbst, und beide sind oft viel größer als er.

Wir wollen uns nicht ein so schwankendes und unsicheres Ziel stecken, wie die Volksgunst es ist, sondern beständig auf dem Wege der Vernunft gehen; dorthin mag die öffentliche Anerkennung uns folgen, wenn sie will; da diese ganz und gar vom Glück abhängig ist, können wir sie ebenso gut auf diesem wie auf einem anderen Wege erhoffen.

Allerdings geht es uns irgendwie gut ein, wenn wir gelobt werden: aber darauf geben wir viel zu viel. Ich kümmere mich nicht so sehr darum, was für ein Mensch ich im Geiste anderer bin, als darum, was für ein Mensch ich vor mir selbst bin: ich will mir reich vorkommen durch meinen eigenen, nicht durch geborgten Reichtum.

Vom Dünkel:

Es gibt noch eine andere Art Ruhmsucht. Sie besteht darin, dass wir unseren Wert und unsere Verdienste überschätzen.

…und gerade weil ich meiner Sache nie ganz sicher bin, bewundere ich die Zuversicht und das Selbstvertrauen, das die meisten Menschen zur Schau tragen.

Ich glaube nämlich, die Selbstüberschätzung des Menschen ist die Nährmutter der falschen Grundanschauungen im staatlichen und im privaten Leben.

Wenn ich es wieder lese, schäme ich mich; denn das meiste könnte gestrichen werden, was ich da sehe, wenn ich, der Autor, es zu beurteilen hätte (Ovid).

Im Vergleich mit ihr (meiner Idee) sehe ich erst recht, dass die Schöpfungen der reichen und großen Persönlichkeiten der Vergangenheit weit erhaben sind über alles, wohin mein Traum und mein Wunsch reichen.

…von der Seele muss verlangt werden, nicht, dass sie sich abseits hält, sich nur mit sich selbst beschäftigt, auf den Körper herabsieht und nichts mit ihm zu tun haben will (sie könnte das ja auch nur mit Hilfe eines albernen Betrugs), sondern dass sie gemeinsame Sache mit ihm macht, ihn durchdringt, ihn liebt, ihm hilft, ihn leitet, ihn berät, ihn erhöht, ihn an der Hand nimmt, wenn er einen Irrweg geht, kurz, sich ihm vermählt und im dient wie ein Gatte dem anderen, damit sie nicht unabhängig voneinander und im Gegensatz zueinander nach außen wirken, sondern einheitlich und harmonisch.

Die Jahre rauben uns während ihres Ablaufs ein Glück nach dem anderen (Horaz).

…da die Welt sich mir doch nicht anpasst, passe ich mich ihr an.

Das Schlimme quält am meisten, wenn es unbestimmt ist (Seneca).

Nichts bringt so viel Ansehen beim Volke wie Güte (Cicero).

Denn die moderne Kunst des Scheins und der Verstellung, die jetzt so hoch geachtet wird, die ist mir gründlich verhasst; unter allen Lastern kann ich keins finden, aus dem soviel Feigheit und Gemeinheit spricht. Wer es nötig hat, sich zu verstellen und sich unter einer Maske zu verbergen, und wer nicht den Mut aufbringt, sich zu zeigen wie er ist, der ist eine Memme oder ein Knecht; durch diese Gewohnheit werden die Menschen von heute zur Unwahrhaftigkeit geradezu erzogen.

Ein edles Herz verleugnet seine Gesinnung nicht; es ist ihm recht, wenn man ihm bis ins Innere sieht; in ihm ist alles gut, wenigstens alles menschlich.

Apollonius sagt: „Sklaven dürfen lügen, Freie sagen die Wahrheit.

…aber was man sagt, muss so sein, wie man es denkt; tut man das nicht, so ist das erbärmlich.

Das Gedächtnis leistet uns nützliche und eigentlich wunderbare Dienste; ohne seine Hilfe kann der Verstand kaum arbeiten.

In meiner Auffassung von der menschlichen Schwäche werde ich dadurch bestärkt, dass sogar in der Heilsgeschichte Beispiele vorkommen, wo in zweifelhaften Fällen die Entscheidung dem Zufall anheim gestellt wird: „Das Los traf den Mathias (Apostelgeschichte)“.

Gewöhnlich sehen die Menschen auf ihr Gegenüber, ich richte meinen Blick nach innen; dort bohrt er sich ein; dort hat er seine Freude. Jeder blickt vor sich, ich blicke in mich. Ich habe es nur mit mir zu tun; unaufhörlich beobachte ich mich, beaufsichtige ich mich, genieße ich mich. Die anderen gehen, genau genommen, immer woanders hin; sie gehen immer von sich fort: „Niemand macht ernsthaft den Versuch in sein Inneres hinab zu steigen (Persius)“. Ich dagegen wälze mich sozusagen in mir selbst.

Wenn ich lüge, kränke ich mehr mich als den, den ich anlüge.

Darf man sich widersprechen?

Ist es Zeitverschwendung, wenn ich mit solcher Ausdauer, mit solcher Eindringlichkeit über mich Rechenschaft ablege?

Wie oft hat diese Bemühung von ärgerlichen Gedanken abgelenkt! Und als ärgerlich oder langweilig ist alles oberflächliche Denken anzusehen. Die Natur hat uns mit reichen Möglichkeiten beschenkt, Freude an der Beschäftigung mit uns selbst zu empfinden; sie will uns damit lehren, dass wir zwar Pflichten der Gesellschaft gegenüber haben, die wichtigsten Pflichten aber uns selbst gegenüber.

Jedes Ding hat seine Zeit

Auch im Guten wird der Weise das Maß wahren (Juvenal).

Der Junge soll seine Kraft auf die Vorbereitung, der Alte auf die Nutzung verwenden.

Vom Zorn:

Zeigt dir mein Gesicht, meine Stimme, meine Gesichtsfarbe, mein Sprechen irgendwie an, dass ich aufgeregt bin? Ich denke doch, ich habe weder wild blickende Augen, noch ein verzerrtes Gesicht, noch eine kreischende Stimme; werde ich rot? Habe ich Schaum vor dem Mund? Sage ich gegen meinen Willen etwas, was ich bereuen müsste? Siehst du mich zittern? Siehst du mich vor Wut beben? Denn das sind doch, wie du weißt, die echten Zeichen des Zorns. (Plutarch)

Aristoteles sagt: „Manchmal ist der Zorn eine gute Waffe für die Tugend und für die Tapferkeit.“ Das ist sehr gut möglich. Die Gegner dieser Ansicht antworten darauf freilich ganz witzig: das ist eine recht eigenartige Waffe, die anderen Waffen schwingen wir, diese aber setzt uns in Bewegung: wir lenken sie nicht, sie lenkt uns; sie hat uns in der Hand, nicht wir sie.

Die Geschichte des Spurina

Dagegen können die Leidenschaften, die ganz in der Seele sitzen, wie Ehrgeiz, Habsucht usw. nur mit der Vernunft bekämpft werden.

Aber wenn wirklich einmal Liebe und Ehrgeiz auf gleicher Waage gewogen und sich mit gleichem Ungestüm gegenübertreten würden, so zweifle ich keinen Augenblick, dass der Ehrgeiz den Sieg davontragen würde.

Wie die Kinder ihren Eltern gleichen:

…dass die geistigen Kräfte so wie wir sie benutzen, mehr dazu angetan sind, die Ruhe unseres Lebens zu stören als sie zu fördern.

Den letzten Tag sollst du nicht fürchten und nicht herbeiwünschen (Martial).

Über das Nützliche und das Anständige:

Was wir aufbauen, sowohl draußen wie daheim, ist voll von Unvollkommenheiten: aber es gibt nichts ganz Nutzloses in der Natur, nicht einmal die Nutzlosigkeit selbst. Alles, was in unsere Welt eingefügt ist, nimmt darin eine sinnvolle Stellung ein. Unser Wesen wird durch einen Kitt von Mängeln zusammengehalten.

Ich habe eine offene Art, mich zu geben; dadurch gewinne ich oft gleich bei der ersten Begegnung Zustimmung und Vertrauen. Natürlichkeit und reine Wahrheit stellen sich immer noch, wie der Zeitgeist auch ist, als vorteilhaft und anwendbar heraus.

Wer mit der Vernunft nichts anfangen kann, der muss seine Erregungen zu Hilfe nehmen (Cicero).

Die andere Art, bei der man sich der einen und der anderen Partei ganz verschreibt, spricht nicht nur gegen das Gewissen, sondern mehr noch gegen die Klugheit. Der, an den ihr einen anderen, dem ihr nahe steht, verratet, hält euch für einen Bösewicht; trotzdem hört er euch an, benutzt euch und zieht seinen Vorteil aus eurer Gewissenlosigkeit: denn doppelzüngige Menschen sind nützlich, soweit sie etwas heranbringen; aber man muss sich in acht nehmen, dass sie möglichst wenig wegbringen.

…denn sklavisch darf ich mich nur der Vernunft unterwerfen.

…jedem steht das am besten an, was ihm am natürlichsten ist (Cicero).

Die Gerechtigkeit an sich, die natürliche und allgemeingültige, ist in einem anderen und in einem vornehmeren Sinne als Gerechtigkeit zu bezeichnen als die besondere, national beschränkte Gerechtigkeit, die den Forderungen unserer politischen Wirklichkeiten unterworfen ist.

…denn das Recht der Tugend muss den Vorrang haben vor dem Recht unserer Verpflichtung.

Von der Reue:

…die Welt ist eine ewige Schaukel; …selbst die Beständigkeit ist weiter nichts als ein langsameres Hin und Her.

…ich male nicht das Wesen, sondern die vorübergehende Erscheinung.

Was ich tue, ist ein Notieren des Ablaufs verschiedener und sich ändernder zufälliger Erscheinungsformen, von unscharfen und gelegentlich sich widersprechenden Vorstellungen; sei es, dass ich selbst das eine Mal ein anderer bin als ein anderes Mal, sei es, dass ich die Gegenstände unter anderen Umständen oder in anderer Beleuchtung auf mich wirken lasse: jedenfalls kommt es gelegentlich vor, dass ich mir widerspreche; der Wahrheit aber widerspreche ich nicht. Wenn seelische Stabilität für mich erreichbar wäre, würde ich nicht bloß tastende Versuche der Selbsterkenntnis mit mir anstellen, sondern ich könnte die Aufgabe, die ich mir damit stelle, lösen: so bleibe ich in der Seelenkenntnis immer beim Lernen und Probieren.

Ich lege hier ein niedriges und glanzloses Leben vor: das ist unerheblich; man kann die ganze Ethik ebenso gut an ein gewöhnliches Privatleben anknüpfen, wie an ein ereignisreicheres Leben: jeder Mensch trägt in sich die Gesamtform des Menschseins.

Wenn die Leute mir vorwerfen, dass ich zu viel von mir spreche, so werde ich ihnen vor, dass sie überhaupt nicht über sich selber nachdenken.

…besonders in einer so verderbten und törichten Zeit wie der unseren ist der Beifall der Menge eher beleidigend.

Was früher als Laster betrachtet wurde, gilt heute als Sitte (Seneca).

Köstlich ist ein Leben, das bis in das geheime Innere seine Ordnung bewahrt. An der Gaukelei teilnehmen und auf der Bühne eine anständige Rolle spielen, das kann jeder; aber im Innern und in seiner Brust, wo alles für uns erlaubt ist und wo alles verborgen bleibt, dort mit sich im reinen zu sein, das ist der springende Punkt.

…der Tugend zu dienen, sagt Aristoteles, ist im Privatleben eine schwierigere und höhere Aufgabe als im Amtsleben.

Ich kann mir leicht den Sokrates an Alexanders Stelle vorstellen; Alexander an der Stelle des Sokrates kann ich mir nicht denken.

Wenn man Alexander fragt, was er versteht, so wird er antworten: „Die Welt unterwerfen“, wenn man den Sokrates danach fragt, so wird er sagen: „Die eigentlichen Aufgaben erfüllen, die das menschliche Leben uns stellt“; das ist ein viel umfassenderes, gewichtigeres und berechtigteres Können.

Wir nennen es Weisheit, wenn wir als alte Leute verdrießlich sind, und wenn wir uns an der Gegenwart nicht mehr freuen können; aber in Wirklichkeit legen wir weniger unsere Laster ab, als dass wir neue dafür eintauschen, und zwar, meiner Meinung nach, zu unserem Nachteil. Im Alter werden die Menschen neidischer, ungerechter und bösartiger, abgesehen von den anderen Grillen: dem dummen, leeren Hochmut, der ärgerlichen Schwatzhaftigkeit, der Stachligkeit und Launenhaftigkeit, der Neigungen zum Aberglauben und der lächerlichen Sorge um das Geld, das sie doch nicht mehr genießen können. Das Alter gräbt uns mehr Falten in den Geist als in das Gesicht; und die Seele aller Menschen, mit wenigen Ausnahmen, bekommt beim Altern einen säuerlichen und muffigen Geruch. Der Mensch nimmt eben als ein Ganzes erst zu und dann ab.

Dreierlei Umgang: Freunde, Frauen, Bücher:

…das Leben ist eine ungleichartige, unregelmäßige, vielgestaltige Bewegung.

Bei den meisten Menschen braucht der Geist einen von außen zugeführten Stoff, wenn er in Schwung kommen und richtig funktionieren soll; bei mir braucht er einen solchen eher, wenn er sich erholen und ausruhen soll. „Die Schäden, die aus dem Nichtstun entspringen, können durch Arbeit wieder gutgemacht werden (Seneca)“.

Ich will lieber meine Seele aus eigenem Wachs formen, als sie mit geborgten Gedanken füllen.

Über einige Vergil-Verse:

Ach! Armer Mensch! Du hast genug Beschwerden, die sich von selbst einstellen, du brauchst keine dazu zu erfinden und sie dadurch zu vermehren; du bist deinem Wesen nach elend genug, du brauchst dich nicht künstlich elend zu machen; die wirklich hässlichen Züge, die dir angeboren sind, reichen wahrhaftig aus, du brauchst kraft deiner Phantasie keine neuen auszuhecken: findest du, dass es dir zu wohl ergeht, wenn du dich nicht über die Hälfte deines Wohlergehens ärgerst?

Liebe ist eine Leidenschaft, die aus einer Mischung besteht von recht wenig wirklicher Substanz und viel mehr Hirngespinsten und unruhiger Erwartung: dementsprechend sollten wir sie befriedigen und ihr dienen.

Über die Kunst des Gesprächs:

Wir können nicht oft genug das Plato-Wort wiederholen: „Wenn mir etwas ungesund vorkommt, liegt das nicht etwa daran, dass ich selbst ungesund bin? Soll ich nicht lieber an meine eigene Brust schlagen? Kann sich die Warnung nicht auf mich selbst beziehen?“ Das ist ein weiser und erhabener Ausspruch; er trifft den verbreitetsten, den allgemeinsten Irrtum des Menschen.

Alles ist eitel:

Was ich hier vorlege, das sind … die Ausscheidungen eines alten Hirn.

Was ist das doch für eine niedrige und dumme Bemühung, sein Geld nachzurechnen, es mit Behagen durch die Finger gleiten zu lassen, es nachzuwiegen und immer wieder durchzuzählen. Das ist der Weg, auf dem der Geiz heranschleicht.

Selbst Geist und Weisheit scheinen uns nutzlos, wenn wir ihre Gaben nur allein genießen können und wenn sie nicht von anderen gesehen und gebilligt werden.

Die Götter spielen mit uns Menschen wie mit Bällen (Plautus).

Wie die Sache liegt, bin ich, mehr als zur Hälfte, von anderen abhängig; das ist eine drückende Verpflichtung.

Nun, ich lege Wert darauf, in meinem Leben das zu tun, worauf ich ein Recht habe und was ich durchsetzen kann, nicht, was ich als Belohnung oder als Gnade entgegennehmen muss. Wie viel ritterliche Männer haben lieber ihr Leben hingegeben, als es jemandem zu verdanken.

Wenn eine Tat nicht etwas von dem Glanz der Freiwilligkeit zeigt, fehlt ihr Anmut und Würde.

Wie das Schenken etwas von einer Überhebung und von einem Vorrecht an sich hat, so das Annehmen etwas von Unterordnung.

Man kann beobachten, wie leicht die Menschen jedermann um Gefälligkeiten bitten und sich dadurch verpflichten; sie würden es nicht tun, wenn sie, wie ich, die Süßigkeit reiner Freiheit schmeckten und wenn sie den Druck einer Verpflichtung so fühlten, wie ein verständiger Mensch ihn fühlen müsste; manchmal kann sie vielleicht abgezahlt, aber nie ganz gelöst werden. Das ist eine schreckliche Knebelung für den, der innerlich ganz frei beweglich sein möchte.

So kommt es, dass es mir auf den Tod zuwider ist, von jemandem anderen als mir selbst abhängig zu sein oder mich ihm verpflichtet zu fühlen.

Freundschaften, die wir selbst geknüpft haben, sind gewöhnlich wertvoller als die, welche aus nachbarlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen hervorgehen. Die Natur hat uns frei und beweglich in die Welt gesetzt; wir sperren uns selbst in bestimmte Beschränkungen ein.

Erfüllung ist uns eben nicht beschieden. Was der Mensch selbst von sich verlangt, ist unerfüllbar.

Da darf sich der Mensch nicht nur nach seinem Gewissen, sondern muss sich nach den anderen richten; nicht danach, was er sich vorgenommen hat, sondern danach, was ihm geboten wird, nach den Zeitumständen, nach den Mitmenschen, nach der Durchführbarkeit.

Mit dem Willen haushalten:

Die meisten Menschen vermieten sich; sie verwenden ihre Kräfte nicht für sich, sonder für die, von denen sie sich beherrschen lassen: nicht sie selber sind bei sich zu Hause, sondern ihre Mieter. Dieses übliche Verhalten gefällt mir nicht. Wir sollten haushalten mit unserer seelischen Freiheit und sie nur verpfänden, wenn es wirklich richtig ist, und das ist, genauso genommen, sehr selten.

Geschäftigkeit ist, für eine gewisse Art Leute, ein Zeichen von Bedeutung und Würde; ihr Geist sucht seine Ruhe in der Bewegung, wie die Kinder in der Wiege: sie sind ihren Freunden ebenso zu Diensten wie sich selber zur Last. Niemand verteilt sein Geld an andere, jedermann seine Zeit und sein Leben.

Es gibt viel schwierige Situationen in der Welt, über die man am sichersten hinwegkommt, wenn man sie leicht und oberflächlich anpackt, wenn man darüber hinwegrutscht und nicht tief hineintritt.

Mein Vater hatte gelernt, dass man zugunsten seines Nächsten sich selbst vergessen solle; dass das Einzelschicksal dem Gesamtwohl gegenüber nicht in Betracht gezogen werden dürfe. Die meisten Regeln und Vorschriften, die man so hört, gehen darauf aus, uns aus uns selbst zu vertreiben und auf den Markt zu jagen, wo wir im Dienste an der Gesellschaft verbraucht werden.

Die Vorschrift, vor uns sollten wir erst drei oder vier andere Menschen und fünfzigerlei Dinge liegen…

Wer sich selbst Freund ist, der muss lernen, allen so Freund zu sein (Seneca).

Wenn wir zu vielerlei uns aneignen wollen, so verhindern wir unsern Geist, das einzelne richtig zu packen und festzuhalten; manches muss man ihm nur zeigen, anderes ihm einprägen, wieder anderes ihm vollständig einverleiben. Die Seele kann alles besehen und befühlen, aber nähren kann sie sich nur von ihrem eigenen Gehalt; sie soll nur lernen, was sie wirklich angeht, was wirklich ihr Besitz und ihre Substanz werden kann.

Es genügt, sich das Gesicht zu schminken; bei der Brust ist das überflüssig.

Ich brauche keine große Energie, um den ersten Schwung einer Erregung zum Stillstand zu bringen und auf eine Sache, von der ich fühle, dass sie Gewalt über mich gewinnen wird, zu verzichten, ehe sie mich ganz fortreißt. Wer den Ablauf nicht bremsen kann, der kann im vollen Rennen erst recht nicht bremsen.

…die beiden Extreme, die Haltung der Philosophen und des Bauern, führen zur gleichen Ruhe, zum gleichen Glück.

Wenn ich zu etwas Lust habe, arbeite ich eifrig los; aber dieser energische Anlauf verträgt sich schlecht mit der Ausdauer.

Die meisten Menschen lassen sich vom Ehrgeiz bestimmen; sie suchen nicht die Befriedigung durch die Sache, sondern die durch den Schein; wenn sie keinen Lärm hören, denken sie, man schläft.

Was wir lernen müssen, ist, nicht nach mehr Ruhm gierig zu sein, als uns zukommt.

…das Gute, das zur Schau gestellt wird, ist halb entwerten. Viel feiner ist es, wenn das Tun wie von selbst und ohne Lärm vom Handelnden hervorgebracht wird, und wenn es dann von einem ehrlichen Menschen anerkannt und aus dem Dunkel herausgehoben wird.

Über die Deutung des Inneren aus dem Äußeren:

Wir sind alle reicher, als wir denken; aber wir werden zum Borgen und Betteln erzogen.

Manches Wissen ist uns nur im Wege und belastet uns, anstatt uns zu fördern: und manches andere vergiftet uns, statt uns zu heilen.

…in uns selbst können wir die wahren Argumente finden, welche die Natur gegen den Tod vorzubringen hat und die uns in der Not am besten helfen können: auf sie gestützt, stirbt ein Bauer, sterben ganze Völker so gefasst wie ein Philosoph.

Ehrgeiz, Habsucht, Grausamkeit, Rache reißen die Menschen nicht sehr mit sich fort, wenn sie offen auftreten, wie sie sind; Verführungs- und Zündkraft bekommen sie erst, wenn sie sich als Gerechtigkeit und Frömmigkeit tarnen. Der schlimmste Geisteszustand, den man sich vorstellen kann, ist der, wo das Böse zum Rechtmäßigen wird und wo es, mit Zustimmung der Regierung, sich als Tugend maskiert.

Das Leid trifft die Sinne weniger als das Denken an das Leid.

Wenn du nicht weißt, wie du mit dem Tod fertig werden sollst, so braucht dir das keinen Kummer zu machen; die Natur wird es dich zur rechten Zeit lehren, vollständig und ausreichend; sie wird dir diese Arbeit ganz und gar abnehmen;

…es ist schwerer, dem Unglück, das du fürchtest, lange zu trotzen (Pseudo-Gallus).

Wir bringen Unruhe in unser Leben durch die Sorge um den Tod, und in unser Sterben durch die Sorge um das Leben; dadurch wird uns das Leben zuwider und der Tod zum Schrecken.

…dass das Volk durch seine Stumpfheit und seine Unempfindlichkeit zu seiner großen Geduld gegenüber dem Bösen, das Menschen trifft, befähigt wird und zu seiner tiefen Gleichgültigkeit gegenüber allem Schlimmen, das ihnen bevorsteht. Die Seele des gewöhnlichen Menschen hat eine Schutzschicht von Dumpfheit und wird deshalb weniger leicht getroffen und erregt.

Wer den Tod fürchtet, setzt voraus, dass er ihn kennt.

Unser Fehler ist, glaube ich, dass wir unser Schicksal nicht genug dem Himmel anheim stellen und es mehr in die eigene Hand nehmen wollen, als uns zukommt; deshalb misslingen unsere Pläne so oft: der Himmel missgönnt uns, dass wir den Rechten der menschlichen Voraussicht soviel Macht einräumen, wodurch seine Rechte benachteiligt werden; er beschneidet uns diese Rechte in dem Maße, wie wir sie überspannen.

Über die Erfahrung:

Niemals haben zwei Menschen die gleiche Sache ganz in derselben Weise beurteilt; und es ist unmöglich, zwei Meinungen zu finden, die genau gleich sind, nicht nur bei verschiedenen Menschen, sondern sogar bei demselben Menschen zu verschiedenen Zeiten. Gewöhnlich scheinen mir bei einer Lektüre die Stellen zweifelhaft, die im Kommentar nicht für erklärungsbedürftig angesehen werden.

…wir vergraben und verdunkeln das klare Denken;

Die Menschen verkennen die natürliche Krankhaftigkeit ihres Geistes; er sucht nur spürend und bettelnd herum; er dreht sich immer im Kreise, verwickelt sich wie unsere Seidenraupen in das Gespinst, das er sich bildet, und erstickt darin.

Kein potenter Geist ruht in sich; er strebt immer nach etwas und will über seine Grenzen hinaus.

Wer im ganzen Recht tun will, sieht sich gezwungen, im einzelnen Unrecht zu zun.

Und die Stoiker glauben, dass sogar die Natur in den meisten ihrer Werke gegen die Gerechtigkeit verstößt: und auch die Kyrenaiker sind der Meinung, dass es nichts gäbe, was an sich gerecht sei, sondern dass Gewohnheiten und Gesetze die Gerechtigkeit erst formten.

Gesetze werden oft von Dummköpfen geschaffen; … aber jedenfalls immer von Menschen, deren Schöpfungen, wie die aller Menschen, eitel und unklar sind.

…und deshalb zeigen die, welche den Mut haben, gegen uns eine Kritik zu wagen, dass sie eine besonders freundschaftliche Gesinnung uns gegenüber hegen; denn die Zuneigung darf man gesund nennen, die sich nicht scheut, auch einmal zu verletzen und weh zu tun, wenn es zu unserem Besten ist. Ich empfinde es allerdings als eine harte Pflicht, über jemanden zu urteilen, bei dem die schlechten Eigenschaften die guten überwiegen: da muss man daran denken, dass Plato von einem Menschen, der es unternimmt, die Seele eines Mitmenschen zu prüfen, drei Eigenschaften verlangt: Wissen, Güte, Mut.

Wie viel schöner erscheint mir die Gesundheit nach der Krankheit, besonders, wenn beide so unmittelbar zusammentreffen, dass ich sie gleichzeitig überschauen und durch das Nebeneinander ihre ganze Wirkungskraft vergleichen kann; sie stehen sich konkurrierend gegenüber, als ob sie sich im Streit oder im Spiel miteinander messen wollten.

Kummer kann alles bereiten, was dem Naturablauf zuwiderläuft; was aber mit ihm übereinstimmt, muss immer als erfreulich angesehen werden.

In ihrer mütterlichen Fürsorge hat die Natur die weise Regel beobachtet: was sie zur Erhaltung unserer Existenz von uns verlangt, das bereitet uns auch Lust; sie leitet uns dazu hin, nicht nur durch die Vernunft, sondern auch durch das Gelüst: es ist Unrecht, ihr Gesetz zu verfälschen.

Wenn es dir gelingt, die innere Ruhe zu erobern, so hast du mehr getan als derjenige, der Städte und ganze Reiche erobert hat.

Hauptwerke

1580, 1588: Les Essais de messire Michel, seigneur de Montaigne.

Deutsch : Die Essais

1774 : Journal du voyage de Michel Montaigne en Italie, par la Suisse et l’Allemagne.

Deutsch : Tagebuch einer Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581.

Quellennachweis

Poller, Horst: Die Philosophen und ihre Kerngedanken. Ein geschichtlicher Überblick.

Olzog Verlag München, 2005. (Seiten 186-190)

Zimmer, Robert: Das Philosophenportal. Ein Schlüssel zu klassischen

Werken. DTV, München, 2004. (Seiten: 50-63)

Grabner-Haider, Anton: Die wichtigsten Philosophen. Marix Verlag, Wiesbaden, 2006. (79-81)

Internetrecherchen

www.michel-montaigne.de

Gedanken zur Philosophie Montaigne

Ich habe die Essais von Montaigne sehr gerne und relativ schnell gelesen, denn die Sprache ist einfach und die Gedanken gut nachvollziehbar. Obwohl Montaigne vor so langer Zeit gelebt hat, kann ich mich mit vielen seiner Gedanken identifizieren. Die Probleme, die wir Menschen haben, bleiben anscheinend die gleichen. Das war für mich eine interessante Erkenntnis, die ich jedoch schon beim Lesen von Dante Alighieri hatte. Die Zeit spielt anscheinend beim Menschen nicht jene Rolle, die wir ihr öfter einräumen. Wenn ein Problem über Jahrhunderte besteht, wie z.B. auf körperlicher Ebene das Problem mit den Nierensteinen, dann heißt es für mich, dass der Mensch bereits seit Jahrhunderten die gleichen geistig-körperlichen Voraussetzungen mitbringt. Auch Probleme die, wie wir heute sagen würden, psychischer Natur sind. Wie könnte ich Montaigne verstehen, wenn er nicht ähnliche Sorgen und Gedanken gehabt hätte wie ich heute? Hier stellt sich für mich die Frage, ob es so was wie Evolution gibt bzw. wenn es Evolution gibt, dann gibt es so große zeitliche Abstände zwischen einem Evolutionsschritt und dem nächsten, dass ich mich frage, wie sich diese Erkenntnis direkt auf mein Leben auswirken könnte. Ich behaupte gar nicht. Der Evolutionsgedanke ist für mich etwas zu abgehoben, zu theoretisch als könnte ich damit etwas anfangen. Ich habe oft das Bedürfnis etwas in meinem Leben bewirken zu wollen, mich nicht nur in abgehobenen Gedanken zu verlieren, sondern Gedanken dazu nutzen, etwas im Leben zu bewegen, ins Rollen zu bringen, eine Änderung zu bewirken, damit nicht alles immer gleich bleibt, damit das Leben spürbar wird und Leben heißt Veränderung. Veränderung ist auch jetzt für mich die Erkenntnis, dass manche Gedanken, Probleme, Menschenbeschwerden über Jahrhunderten unveränderlich sind, dass Generationen von Menschen mit gleichen Problemen zu kämpfen haben. Können diese gleich bleibenden Sorgen geändert werden? Heute mit dem medizinischen Fortschritt, kann das Leben verlängert werden, Schmerzen gelindert werden, Impfungen gegen bestimmte Krankheiten geschaffen werden. Das blöde ist nur, dass dafür andere Krankheiten entstehen. Aids kannte man vor etlichen Jahren gar nicht. D.h. die Probleme bleiben immer gleich, die verlagern sich nur. Mit der Lebensverlängerung wachsen die psychischen Belastungen. Alte Menschen werden oft auch psychisch unzurechnungsfähig, bekommen Verfolgungswahn, sind traurig. Nicht alle, aber viele. Da stellt sich die Frage, ob der Mensch nicht doch noch zu viele Fehler macht in der medizinischen Forschung. Es gibt in der Medizin so viele verschiedene Ansätze, von der Schulmedizin bis zu schamanistischen Praktiken, wird alles an einem kranken Körper angewendet, um dann so wie hier feststellen zu müssen, dass manche Krankheiten und Beschwerden immer wieder auftreten.

Montaigne, ein Weltbürger, ein politischer, von der Gesellschaft anerkannter und bekannter Mann, war hin und hergerissen zwischen Öffentlichkeit und Privatleben. Er zog sich einige Zeit in seinem Schloss zurück um die Essais zu schreiben. Ich glaube, dass alles Wertvolle nur in der Einsamkeit entstehen kann. Man denke nur an Michelangelo. Er hat die Sixtinische Kapelle auch alleine gemalt und war stundenlang alleine beschäftigt. Montaigne gefällt mir deshalb gut, weil er beides gelebt hat: sowohl die Einsamkeit als auch das öffentliche Leben. Er hat sich nicht zurückgezogen als ihm die Stelle als Bürgermeister angeboten wurde. Damit jemand über die Gesellschaft, über Land und Leute vernünftig reden kann, muss er damit auch in Kontakt gekommen sein. Eine Ausnahme wäre Carl Barks, der Zeichner einiger Donald Duck Geschichten, welcher nie im Ausland war und doch in seinen Geschichten einige Landschaften wahrheitsgetreu zeichnete. Man kann sich ja auch mit Büchern und Zeitschriften behelfen. Barks hatte die Zeitschrift „National Geographic“ abboniert und von dort kopierte er praktisch die Länder und Landschaften.

Die „Essais“ bestehen aus lauter Lebensweisheiten, die für jedermann leicht verständlich sind.

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