Ich sitze im Wohnzimmer, dort gibt es einen Perserteppich, ich musste immer die Fransen mit den Fingern gerade richten. Ich sitze im Wohnzimmer, links daneben ein Plattenspieler. Ich spiele Platten, meine Lieblingsmusik ab, Kinderlieder, und träume mich in andere Welten. In realistische Welten mit offenem Ausgang. Hinter meiner Volksschule gab es einen Weg, ich sah immer hinauf auf diesen Weg, wo endete er bloß, wie ging er weiter, das sah ich nicht. Und dachte mir auf meiner Couch im Wohnzimmer mögliche Weggabelungen aus beziehungsweise wohin dieser Weg wohl führen konnte. Dieser Weg führte in meiner Fantasie in in Worten nicht beschreibbaren Gegenden. Ich ließ es offen, es war ein Gefühl der Offenheit. Meine Unwissenheit akzeptierte ich und versuchte sie mit Gefühlswissen zu kompensieren. Mein Gefühl führte diesen Weg weiter und nicht mein Verstand. Woher kam dieses Grundwohlgefühl? Wie im Lied von Herbert Grönemeyer „Land unter“:
„Geleite mich heim
Raue Endlosigkeit
Bist zu lange fort
Mach die Feuer an
Damit ich dich finden kann“
Aber das wusste ich damals noch nicht, ich konnte kein Deutsch und in Italienisch hätte ich das auch nicht ausdrücken können.
Auf der Couch im Wohnzimmer in Sanremo wiederholte ich oft dieses Spiel. Erinnerungen sind trügerisch; saß ich dort schon als Vorschulkind? Das denke ich heute, auch wenn ich oben schrieb, dass ich über den Volksschulweg träumte. Wer weiß, vielleicht ist beides richtig. Auch im Vorschulalter saß ich auf der Couch und hörte mir Musik an. Ich tanzte mit zweieinhalb Jahren im Wohnzimmer mit meiner besten Freundin, Nadia, wir standen uns gegenüber und tanzten, wobei wir uns nicht wirklich weit voneinander wegbewegten, etwas starr tanzten wir uns gegenüberstehend. Nadia, mein Vorbild, meine beste Freundin aus dem dritten Stock, wir wohnten im fünften Stock, mit einer riesigen, die Wohnung umschließenden Terrasse. 320 Quadratmetern hatte das ganze. Einen langen Gang in der Wohnung führte zu den unterschiedlichen Zimmern. Links die Küche, der Kochbereich vom Essbereich durch einen Bogen in der Mauer getrennt. Rechts das Wohnzimmer. Dann links ein Klo, ein Bad, ein Schlafzimmer, geradeaus ein Schlafzimmer, rechts ein großes Schlafzimmer. Mit eineinhalb Jahren bin ich dorthin gezogen, mit 12 wieder ausgezogen.