Sprache als Selbstschutz

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Sprache als Selbstschutz

Man klammert sich an Worte als wären sie Rettungshalme. In vermeintlicher Schönheit gestorben.

Derrida, ein Schwafler mit Tiefgang, linguistischem Tiefgang. Die Sprache wird wie ein Schutzschild vor einem getragen – sprechen heißt sich zu verteidigen, sprechen heißt sich vor dem Gegenüber zu schützen, vor dem Fremden, sprechen heißt, sein Selbst nach Außen zu kehren, auch wenn sprechen bedeutet zu lügen. Ich spreche also lüge ich, um etwas in mir zu verteidigen, was Bullshit ist, was es gar nicht gibt. Meinungen, Argumente und Beschreibungen sind nichts wert, wenn sie frei von Bedeutung sind, wenn sie leer sind, inhaltsleer. Nur wer mit dem Herzen spricht, dem glaubt man leider kein Wort. Wir haben Angst vor Menschen die wirr sprechen, die man nicht versteht – sie werden von uns aus dem gesellschaftlichen Kontext ausgeschlossen, obwohl gerade der gesellschaftliche Kontext derjenige ist vor dem man sich wirklich fürchten sollte.

Sprache, sprechen, um die Leere in sich mit Worten vollzustopfen, die zu nichts führen außer zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit, die jedoch sofort verpufft, sobald man zu sprechen aufhört. Sprache in die Länge gezogen, wie in den Büchern mancher Philosophen, die nie zu einem Punkt kommen und viel zu viele Worte verwenden, um etwas zu erklären und zu beschreiben, das nur im eigenen Gefühl liegt. Die Worte werden davorgesetzt und es wird lang und breit gesprochen und geschrieben, wenn jemand etwas schreibt, das keiner versteht, wirklich einmal inhaltlich eingeht auf sich selbst, wie Paul Valéry oder Jacques Lacan oder eben Jacques Derrida, dann verstehen wir nur bestimmte Wörter, bestimmte Ausdrücke, alles andere ist für uns eine Restriktion, eine Deduktion, ein Lesen und Hören von unverständlichen, rissigen Gedanken in der Leere, die wirklich viel mehr gestopft wird als dieses Nacheinander von bekannten Worten und Sätzen, konventionell aufgebauten Gedanken. Was mich wundert – und dieser Satz kam aus meiner eitlen Denkweise, aus einem eitlen Nichts – ist, dass noch niemand versucht hat Sprache als das zu sehen was sie ist, ein Spiel, ein Machtspiel, eine Simulation von Gewalt, die zur tatsächlichen Gewalt führen kann. Sich auszudrücken, zu sprechen oder zu schreiben bedeutet sich durchsetzen zu wollen, sich bemerkbar machen zu wollen mit und durch etwas – die Sprache – für den anderen tautlogisch oder unverständlich. Warum, frage ich mich, kann ich mit jedem so sprechen, dass er auf mein Sprechen eingehen kann, als würde er mich verstehen oder auch nicht verstehen und deshalb nachfragen, was ich eigentlich meine. Warum, frage ich mich, sind wir nicht schon längst draufgekommen, dass wir das ganz ohne Worte schaffen uns jemandem verständlich oder unverständlich zu machen. Worte sind viel zu billig, geistiges Verständnis viel zu teuer, deshalb benützt man lieber Worte, um das Leben zu füllen anstatt geistiger Stille. Denn Stille, nicht zu reden erfordert viel mehr Vertrauen als zu reden und dem anderen zuzuhören. Nicht sehen und doch vertrauen, nichts hören und doch vertrauen, nichts riechen – der Geist ist geruchlos – nichts berühren und doch vertrauen, das ist schwer, das würde absolutes Vertrauen in sich selbst bedeuten und das hat keiner, deshalb wollen die meisten kommunizieren, das Gegenüber von etwas überzeugen, um nicht auf sich selbst vertrauen zu müssen. Man stelle sich eine Welt von nicht sprechenden und nicht schreibenden Menschen vor, wo die Schrift noch nicht erfunden ist, eine sinnentleerte Welt – denn Sprache spricht die Sinne an, kann nur durch unsere Sinne geäußert und aufgenommen werden. Eine sinnfreie Welt. Kein Nitzscheanischer Übermensch trübt mehr den Geist, keine buddhistische Leere, kein Christ und Antichrist, kein Gott und kein Teufel, sinnfreies Inneres ohne Worte. Da ist ja doch etwas, natürlich unsere ganze Vergangenheit, erlebte Vergangenheit, wir leben nunmal. Gewissen. Das Gewissen kommt weit vor der Sprache, kommen Zahlen noch vor der Sprache? Handlungen ohne Sprache. Ich koche etwas, da muss ich nicht sprechen oder schreiben und doch meinen Körper dafür einsetzen, meine Hände, meine chronologische Ideenfolge, meine Kraft, meine sprachlose Kraft. Das bringt mich auf den Gedanken, dass Sprache ein Delegierungsmittel ist, ich könnte auch das Kochen delegieren, jemand anderem sagen, was er zu tun hat, ein „Politiker der Küche“ werden sozusagen. Je abstrakter die Wörter, je schlagwortartiger sie ausgesprochen und geschrieben werden, desto mehr folgen einem die anderen, weil sie denken, sie würden etwas verstehen, dabei verstehen sie nichts als Leere, leere, inhaltsleere Worte. Butter ist ein inhaltsvolles Wort, wird hergestellt aus der Milch der Kühe zum Beispiel, kann geschmolzen werden, ist etwas Essbares. Ein Küchenrezept zu schreiben oder jemandem zu sagen, wie er das Rezept ausführen soll ist konkreter, als jemandem einreden zu wollen, wie er insgesamt zu leben hat, wie Karl Marx, Adam Smith und Konsorten, Philosophen, wie ich einer, eine bin, die die Weisheit mit dem Löffel gegessen zu haben scheinen. Die Sonne scheint und wärmt wirklich. Meine oder des Philosophen Worte können nur Abwechslung schaffen und deshalb Lügen. Sie lügen für dich, sind für mich vielleicht sogar die Wahrheit, entsprechen meiner persönlichen Wahrheit, wer bin ich aber außer einer beschreibenden Person, die versucht dir etwas einzureden. Ich rede dir etwas ein um? Mich wichtig zu fühlen, Macht auszuüben, dich zu manipulieren usw. Ein richtiges Gespräch zwischen zwei Menschen wird nicht ohne Tränen und Wut ablaufen können, weil der andere nicht die gleichen Wörter zur Verfügung hat als ich. Gleichheit gibt es also nicht und die Differenz auszuhalten ist deshalb schwer, weil man dann mit den eigenen Fehlbarkeiten, Unzulänglichkeiten, Fehlern und der eigenen Leere konfrontiert wird, die der andere viel besser auszustopfen scheint als man selbst. Es ist langweilig nur das zu machen, zu denken und zu fühlen, was man im eigenen Inneren hat. Ohne Input von Außen sind wir arm, was Jesus auch wollte, denn die Armen werden im Gottesreich aufgenommen oder so ähnlich. Diese innere Armut muss man ja einmal ertragen ohne zu verzweifeln. Ich will mit meinen Schriften nicht nur mich selbst besser verstehen und zu erklären versuchen, wie ein verquerer Geist wie ich die Dinge sieht, verquer weil vielleicht zu realistisch, zu klar sehend, ich will auch unterhalten, auf andere Gedanken bringen, meine und deine konventionelle Welt sprengen, Leben in die Bude, in deine und meine bringen, zu viel „bringen“ ist auch nicht gut. Ich bringe und ringe mit meiner eigenen Welt in dem Versuch, deinen Geist aufzubrechen für Dinge, die wichtiger sind als das ganze Gequatsche hier und dort. Ich habe etwas zu sagen, was eigentlich? Zerstreuung in Worten, weil ich viele Worte kenne und doch immer wieder auf die gleichen Worte zurückgreife. Worte, ich schreibe und spreche Worte an irgendeinem Orte aus. Ort und Wort und da können wir schon wieder philosophisch tätig werden, ist das Wort wichtiger als der Ort, eben weil es mehr ist als der Ort, ein Wort besteht aus vier Buchstaben, Quantität vor Qualität? Ich tautologisiere so herum, weil das Spaß macht und ich das kann. Was ich nicht kann ist, dich von etwas nicht zu überzeugen, denn Worte üben eine recht große Überzeugungskraft aus, überhaupt wenn sie mit unserem Erfahrungsverstand ausgedrückt werden, sie üben die Überzeugung aus auch einmal zu widersprechen. Trotzdem stehen sie da geschrieben, auf diesem weißen Blatt Papier und kommen aus meinem Inneren, aus meinem Geist, aus meinem Gehirn, aus meinem Herzen, aus meinem Chaos und aus meiner ordentlich aufgeräumten Oberstube. Ich kann lügen oder die Wahrheit sagen. Warte mal, jetzt versuche ich einmal absichtlich zu lügen, schauen wir, ob du das erkennst:

Es ist gerade ein sonniger Tag am Meer, ich liege nackt auf einer Liege in der Sonne und das Meer glitzert wunderbar. Ich stehe jetzt auf (5 Minuten Pause vom Schreiben). Ich bin wieder da, habe gerade meine Füße im Wasser gekühlt und lege mich erneut mit meinem Schreibblock hin. Wittgenstein hat diese Art von Lügen entlarvt. Es ist eine Lüge, ja, vielleicht für jeden jetzt erkennbar, der mich kennt, denn es ist dunkel draußen, kalt, es ist Winter und ich sitze hier vor meinem Computer und schreibe und habe drei Schichten an, Unterleiberl, Leiberl und Pulloverjacke. Es ist eine Lüge und doch keine Lüge, denn ich kann mir das vorstellen und ich kann das, was ich oben beschrieben habe zu einem späteren Zeitpunkt erleben, wenn ich mir das vornehme oder ich habe es einst schon erlebt. Was wäre eine richtige Lüge? Wenn ich zu dir sage, ich lese gerade ein Buch und das aber nicht stimmt, weil ich gerade am Schreiben bin. Lügen, auf falsche Fährten führen bedeutet in letzter Konsequenz Verschlossenheit gegenüber dem Nächsten, ich sage A und mache B. Wenn das unabsichtlich geschieht ist es keine Lüge sondern ein Widerspruch und wir Menschen widersprechen uns mehr als uns lieb ist. Ich kenne niemanden, der wirklich wahrhaftig spricht und lebt, denn das Leben selbst widerspricht sich oft und ist nicht aus einem Stück gegossen. Ich kann nur absichtsvoll die Wahrheit sagen oder absichtslos lügen, mehr ist dem Menschen nicht gegeben. Ich will diesen Text zu Ende schreiben, wenn der Strom ausfällt, das heißt, etwas von Außen in mein Wollen, in meiner Absicht, in meiner temporären Wahrheit einbricht, kann ich es nicht zu Ende führen und werde von mir oder dir als Lügner entlarvt. Natürlich kann ich nichts dafür oder doch? Was könnte ich wirklich wahrhaftig zu Ende führen, was ich hier zu versprechen oder zu sprechen gedenke? Schwer mit Worten auszudrücken, weil Worte Lügen sind, ich lüge, sobald ich den Mund aufmache, absichtlich oder unabsichtlich sei dahingestellt. Sogar über die Vergangenheit kann nichts Wahrhaftiges gesagt, gesprochen oder geschrieben werden, da die Vergangenheit immer verzerrt und mangelhaft, reduziert oder ausgeschmückt ausgedrückt werden kann. Das absolute Gedächtnis gibt es nicht und auch nicht die Worte, die ein solches ausdrücken könnten. Im Deutschen gibt es viele „n“ fällt mir gerade auf. Im Italienischen gibt es viele Vokale und Doppelkonsonanten, viel mehr als im Deutschen. Beim Lesen oder Hören verschiedener Sprachen ist das nicht irrelevant für das Weltbild, was man sich so zurechtlegt.

Zurück zum Selbstschutz durch die Sprache. Leider kann ich mich durch Sprache nicht selbst schützen, weil die meisten, mit denen ich es zu tun habe, die Sprache noch viel mehr als ich einsetzen um sich selbst zu schützen. Ist das jetzt als Schwäche oder Stärke von mir zu interpretieren, dass ich mich vor den Überzeugungen der anderen niederwerfe und dem anderen zu viel Glauben schenke oder geschenkt habe? Was habe ich davon, wenn ich nur noch mir selbst glaube, an meinem lügenhaften Schwachsinn? Da glaube ich lieber den anderen, da kann mir dann nichts geschehen und ich kann schön säuberlich die Schuld beim anderen suchen, der es vermasselt hat. Das Problem mit den Überzeugungen ist eben das, dass Überzeugungen temporäre Wahrheiten sind, die früher oder später revidiert werden, sogar von einem selbst. Was soll ich also damit anfangen? Keine Überzeugung zu haben bedeutet aber, die Wahrheit in sich selbst zu spüren und die Wahrheit schmerzt meistens, weil wir so unvollkommen sind. Ein überzeugter Mensch gibt eine Vollkommenheit vor, die er gar nicht besitzt. Wie schnell kann jemand in seiner Überzeugung durch Provokation im negativen Fall, durch Liebe im positiven Fall, verunsichert werden. Also sind Gefühle stärker als Worte. Liebe und rede was du willst. Hasse und triff den anderen mit deiner Provokation, mit deinen provokanten Worten. Oder Liebe und triff den anderen mit deinen liebevollen Worte. Freitag. Or – Gold – Au. Ich fühle mich in der Pflicht nun einen Schlusssatz zu bilden, bloß welchen? Ich weiß einen. Ich schließe, wie ich begonnen habe und sage nur: Man klammert sich an Worte als wären sie Rettungshalme.

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